Dienstag, 18. Oktober 2011

Ewigkeitsbüro II: Sexy sein und billig leben - HartzIV im Öko-Test

Überraschende Bestätigung der These, dass biologische Ernährung nicht teurer ist als konventionelle: Philipp und Kolja berichteten von ihren Erfahrungen bei der Umstellung auf eine ökologische Lebeweise.

Wollt ihr den totalen Aldi?
Philipp sei mittlerweile sehr involviert und interessiert, aber noch weit davon entfernt, ein "totaler Öko" zu werden, sondern wolle  nach wie vor einfach günstig einkaufen - noch schlägt also, ach, sein Aldi-Herz in seiner Brust. Er hätte jetzt aber festgestellt, dass es sehr wohl gleichzeitig möglich sei, mehr auf seine Umwelt-Bilanz zu achten und trotzdem nicht zu viel auszugeben. 
Das wäre eine überraschende Bestätigung meiner These, dass es nicht teurer ist, sich biologisch zu ernähren, sondern dass es auf dem selben Preisniveau geht, wenn man weiß, wo und wie man in Aachen kauft.



Philipp führt aus, dass das Kostenlevel beim Umstellung auf biologische Ernährung vor allem durch relativ simple Umstellungen der Lebensweise zu halten sei, indem man zum Beispiel Autofahren vermeidet. Wie bei allen Selbstversuchen, wie  denen von Colin Beavan, Leo Hickmann oder John Webster, wird die Partnerin nolens volens mit hineingezogen (Danielas Mann sagte kürzlich, er wolle "umbesetzt" werden) und es kommt zu Konflikten; Philipp erzählt von seinen Versuchen, seiner Partnerin zuhause Bioprodukte "unterzujubeln", was aber natürlich immer sofort auffliegt.  Aber: Die Mehrkosten für Bio würde er einfach dadurch auffangen, dass sie jetzt viel weniger Nahrung wegschmeißen, indem sie das Menü sehr vereinfacht hätten: Bisher hätten sie beim Frühstück immer eine große Auswahl gehabt, so dass viel von dem Geöffneten schlecht wurde und weggeschmissen wurde, jetzt hätten sie einfach die Auswahl eingeschränkt, dafür aber qualitativ höherwertiges Essen.
Außerdem ginge es vor allem um Kleinigkeiten. So würde er jetzt keine Cola mehr trinken, dafür aber Bio-Schweinefleisch kaufen - kostenneutral.

Bio ist Low-Cost
Kolja bestätigt die Low-Cost-These, als er von seiner Selbstverpflichtung berichtet, sich einen Monat auf der Basis eines Hartz-IV-Satzes  ökologisch und plastikfrei zu ernähren: Es geht, stellt er fest, indem sich die Prioritäten verschieben. Er bekomme nicht mehr die gleiche Menge an Nahrung, aber das, was er isst, sei qualitativ gut. Und er erzählt von einer rigiden Auswahl. Er verzichtet auf Brot, Butter und Käse (unter Klima-Gesichtspunkten ist das vorbildhaft, schließlich haben Butter und Käse, genau wie Rindfleisch, eine schlechtere CO2-Bilanz als Autofahren, wegen der ungeheuren Mengen Methan, die Kühe weltweit in die Atmosphäre äh blasen).
Kolja ernährt sich jetzt monogam: Statt morgens Müsli oder Brot zu essen, kocht er jeweils ein Essen für einen Tag, d.h., wenn er  Kartoffeln macht, gibt es morgens, mittags und abends Kartoffeln.  Abwechslung gäbe es aber schon, denn an manchen Tagen koche er auch Reis. 

Wir sorgen uns um seine Ernährung.

Außerdem muss man das Experiment wohl  als gescheitert ansehen, wenn das Ergebnis ist: Man kann sich auch auf Hartz-Iv-Niveau biologisch ernähren, indem man einfach nur noch Kartoffeln und Reis isst.

So unter Druck gesetzt, räumt Kolja ein, gelegentlich auch Zucchini zu essen. Na dann.

Last Exit "Ernährung nach Portemonnaie"
Später am Abend lade ich ihn im Last Exit zu einer halben Kürbissuppe ein (die Küche hatte schon zu, und mehr war nicht mehr da). Zunächst zieht er sich einen entsprechenden Geldbetrag von seinem Monatsgeld ab (Hartz-IV-Empfänger müssen Essenseinladungen angeben und kriegen sie abgezogen), aber nach einigem Zureden lässt er davon ab. Etwas Menschlichkeit muss gewahrt bleiben, wir sind hier ja nicht auf dem Arbeitsamt .

Heute morgen hat er im LastExit von mir ein außerdem ein Rührei mit Speck (wirklich lecker und empfehlenswert, allerdings ist der Speck eher nicht bio, Julia nennt das "Zellulose mit Antibiotika") bekommen, und 2 Salatblätter habe ich da auch dran gesehen. Allerdings war die Einladung nicht aus der Sorge um seine Ernährung geschuldet, sondern Dank und Entschuldigung für einen Arbeitseinsatz zu nachtschlafender Zeit, um das Image-Foto für "Ein Jahr für die Ewigkeit" zu schießen, bevor wir gefrühstückt hatten.

Als Zwischenergebnis können wir also festhalten: Man kann sich auf Hartz-IV-Niveau biologisch ernähren, wenn man auf eine KartoffelnReisGemüse-Diät setzt und ab und an Freunde hat, die einen ins Last Exit einladen.

Mujahee. Wir arbeiten dran.


Shifting Baselines I: Zunehmende Radikalisierung
Schwierigkeiten, berichtet Kolja, mache ihm die Umstellung jedenfalls nicht. Er hätte öfter schon für begrenzte Zeiträume  Ernährungsexperimente gemacht, bei Reise in Indien oder Südamerika, wo er vegetarisch gelebt hätte (wer schon mal in Südamerika war, wo morgensmittagsabends Fleisch gegessen wird, weiß, was das heißt - wer drauf verzichtet, stößt auf ungefähr so viel Verständnis wie bei uns Frutarier ). Außerdem habe er auch in Deutschland schon öfter "Ernährung nach Portmonnaie" betrieben. Kolja begreift dabei die Umstellung nicht als Verzicht, sondern als Bereicherung, weil man sähe, was man alles nicht brauche.

Aber eins stellt er klar: Nach Ablauf des Monats werde der Käse zurückkommen!

Allerdings plant er vorher erst einmal die eigene Radikalisierung: Noch habe er Besuch, deshalb habe er den Kühlschrank noch nicht ausgeschaltet, aber nächste Woche sei das auch noch dran.

Milk on Demand, oder: Der Kühlschrank der Anderen
Kathrin wendet einen Tag später ein, dass, wer den Kühlschrank abschalte, in Wirklichkeit einfach den Kühlschrank der anderen benutze, in einer Art umgekehrten Lagerkette (nennen wir das das Aldi-Invers-Prinzip). Denn: Wenn man für jede Flasche Milch einzeln zum Bioladen seiner Wahl gehe, nutze man einfach deren Kühltruhe und spare überhaupt nichts.

Kluger Einwand. Is aber auch ein Leid, diese ganze Bilanzierungs-Kacke. Das entspricht dann dem On-Demand-Lieferung-System großer Unternehmen, und gekühlt wird meine Milch dann auf der Autobahn.

Kolja gibt sich aber so leicht nicht geschlagen und kontert, jetzt werde es ja kalt, und da brauche er überhaupt weder Kühlschrank noch -theke, sondern nutze einfach die Außentemperatur.

1:0  für die Radikalen.

Auch Daniela berichtet von ihren Versuchen. So hätten sie in der Familie sämtliche Stadtfahrten mit dem Auto abgeschafft. Manchmal zum Leidwesen der Kinder, die zu Schulen oder Vereinen gefahren werden müssen. Die Folge sei ein erhöhter Planungsbedarf.
Ihr Bericht erinnert aber an John Websters "All we had left was: time", denn Daniela berichtet von einer Verbesserung der Lebensqualität; so habe sie sich mit ihren Sohn nie unterhalten, wenn sie ihn im Auto abgeholt habe, weil sie auf den Verkehr konzentriert gewesen sei. Jetzt, wo sie ihn nicht mehr mit dem Auto abholen, sei das 20 Minuten mehr täglich "aktive Zeit", weil sie sich unterhielten,  sich austauschten.



Hedo oder Nismus? - Ihr persönlicher Öko-Ratgeber
Inzwischen geben wir auch hemmungslos Ratschläge zum Öko-Verhalten, gefragt und ungefragt. Man wird so, glaubt uns, man wird so. Benedikt zum Beispiel erzählt den Klassiker: Er steht vorm Regal und will Bio-Äpfel kaufen, sieht dann aber, dass die aus Neuseeland kommen und fragt: Soll er dann doch lieber zu den konventionellen aus dem Alten Land greifen.
Ehe er sich in Sicherheit bringen kann, überschütte ich ihn mit den gesammelten Ergebnissen desFreiburger Öko-Institutes. Eine viertel Stunde später sieht er erschöpft aus und ist, glaube ich, so weit, nach Mai stet nur noch Neuseeländische  Äpfel zu kaufen oder trotz aller Klimabilanz-Bedenken regional und saisonal zu kaufen.

Ganz geschlagen gibt er sich aber noch nicht: Die Frage sei ja jedesmal wieder: Esse ich politisch korrekt, oder wie´s mir schmeckt, oder wie´s gesund ist. Aber so kann man uns natürlich schon lange nicht mehr kommen: Das ist natürlich glücklicherweise alles dasselbe. Bio schmeckt einfach besser, wer´s bezweifelt, kaufe einfach mal Biofleisch, da kann man wunderbar feststellen, wie weit die eigenen Baselines seit den 70ern geshiftet sein müssen, um das, was heute im Supermarkt an Antibiotika-H2O-Pampe verkauft wird, als Steak zu akzeptieren.

(Am nächsten Morgen berichte ich Philipp, dass ich Biowurst hätte kaufen wollen, aber da ich jetzt ja weiß, dass die 3-Euro-pro-Hundert-Gramm-Rindersalami eine verheerende CO2-Bilanz hätte, habe ich zur 6-Euro-pro-Hundert-Gramm-Lammsalami gegriffen. Die schmeckt super, aber zusammen mit den 2 großen Stücken Käse, die meine gerade geleistete Heldentat gleich wieder einebneten, bin ich 18 Euro losgeworden und habe dann schon geschluckt. Dieser Bericht hat mir ein hämisches "Nicht wahr, Harald, Bio is gar nicht teurer, und schmeckt ja auch viel besser, was!?" eingetragen.) 


Eine weitere Frage, die unsere Gäste umtreibt, ist die nach der richtigen Bank: Wo sein Geld anlegen? Wir stellen kurz die Ehtik- und Öko-Banken vor und schlagen vor, beim CAHSMOB  mitzumachen, d.h., am 30.11. zu seiner Bank zu gehen und alles Geld auf einen Schlag auf ein neues Girokonto z.B. bei der GLS-Bank zu überweisen. Jetzt sind wir schon zu acht, das unmittelbare Ziel wäre, 50 Aachener am 30.11. um 17 Uhr vor der Postbank zu versammeln, reinzugehen und die Überweiseungen auszufüllen.  

Leo fragt nach den blinden Flecken der Öko-Bewegung, insbesondere bei den Herstellungsbedingungen von Solarzellen, und ob sich angesichts der dabei aufgewendeten Energie die Anschaffung unter Klimagesichtspunkten lohne.
Ich zitiere an dieser Stelle  Mark Terkessidis: Wir können in der gegenwärtigen Situation nur Fehler machen, der größte wäre es, es gar nicht erst zu versuchen. Denn solche Einwände  liefern mitunter die Rechtfertigung dafür, untätig zu bleiben, obwohl Handeln geboten wäre.
Daniela, die besonders solche - tatsächlichen oder unterstellten - Widersprüche  interessieren, führt nochmal kurz aus, was das Projekt leisten kann, und was auch nicht. Wir stellen die Frage nach dem persönlichen konkreten Verhalten: Was kann ich auf einer persönlichen Ebene machen, womit konfrontiere ich mich, was kann ich tun? Für wissenschaftliche Untersuchungen sei eher die RWTH zuständig.
Inhaltlich müssen wir zunächst passen, aber bei einer der nächsten Ewigkeitsbüros werden Architekturstudenten, die ein klimaneutrales Haus planen, über solche Herstellungsprobleme bei den Materialen berichten (Termin folgt).

Philipp greift das Thema indirekt auf, er ist inzwischen ein  Auto-Experte und hat intensiv zur Frage der alternativen Antriebe recherchiert. Das Problem sei, so die überraschende These, dass die CO2-Bilanz von Elektro- oder Hybridmotoren genauso schlecht sei wie die der Otto-Motoren, wenn man die Produktion der Akkus, die Notwendigkeit von Akkuwechseln, die Herstellungsprobleme und Giftstoffe bei der Produktion mit einrechne. Es sei dasselbe wie bei Energiesparlampen.

Bettina bittet um eine Klimaberatung bittet liefert den Satz des Abends, indem sie sich vorstellt mit: Sie sei totaler Durschnitt, sie würde ausschließlich Bio-Produkte kaufen. Wir kippen vor Lachen vom Stuhl, und blicken in ein erstauntes Gesicht. - Ich verstehe das aber sehr gut, man vergisst irgendwann, dass es auch noch andere Menschen gibt, solche etwa, die sich von Aldi ernähren, und ist dann ganz erstaunt, solche Exoten tatsächlich in freie Wildbahn anzutreffen.

Sie sind aber behandelbar. Philipp berichtet davon, sich anfangs von Lustprinzip geleitet haben zu lassen, mit dem Ziel, schnell und einfach Mahlzeiten herzustellen. Dann sei der Punkt des Nachdenkens gekommen, und ab da gäbe es keinen Schritt mehr zurück.  Denn in jeder Kaufentscheidung drücke sich, ob bewußt oder nicht, auch eine Lebenshaltung aus.


Shifting Baselines II: No one here get´s out alive
Bei der Umstellung der Lebensweise hilft natürlich die Gehirnwäsche, die mit diesem Projekt verbunden ist, ungemein (die ich mit diesem vorsätzlich tendenziösen Protokoll natürlich noch verstärke): Man werde, meint Philipp, mit jeder Handlung sofort konfrontiert, man könne keine Bemerkung wie "Bei uns gab´s lecker Steak" mehr einfach fallenlassen. Alles werde sofort in Frage gestellt, und er sei oft der, der bisher von allen Projektbeteiligten am wenigsten umweltbewusst  gehandelt habe, deshalb bekomme er am meisten ab. Und offenbar hat´s funktioniert, denn er habe kürzlich einen seiner Kumpel mit Plastikflaschen angetroffen und ihn in ein Gespräch über Bisphenol-A und Weichmacher verwickelt. Ich gebe zu Bedenken, dass es klassisches Opferverhalten ist, erlittene Misshandlungen an Dritte weiterzugeben.

Philipp weist aber auch auf die zwangsläufigen Widersprüche hin: Selbst Julia, die inzwischen zu einer Art philippinisches Öko-Gewissen mutiert ist, sei nicht konsequent, schließlich fahre sie immer noch Auto, hätte ein iPhone und ihren Kühlschrank ja immer noch nicht abgeschaltet.

Ich gestatte mir den zarten Hinweis, wie weit sich die Maßstäbe seit Probenbeginn schon verschoben haben, wenn inzwischen in Nebensätzen das Abschalten von Kühlschränken völlig selbstverständlich erscheint und als diskussionsunwürdig vorausgesetzt wird, als mache man das halt so.

Machen wir und nichts vor: Noch vor 6 Wochen hätten wir das komplett durchgeknallt gefunden, und das zeigt nur, dass wir bald soweit sind, alle in den Wald zu ziehen und in Baumhäusern zu leben, wenn uns die Kollegen nicht rechtzeitig rausholen (oder die Premiere kommt und danach was völlig anderes, wie, sagen wir, "Konfetti" oder "Die Katze auf dem heißen Blechdach" - womit das Theater nicht nur die Welt, sondern auch uns retten würde - danke, Spielplan).

Nein, ich bin in Wirklichkeit fest überzeugt: No one here get´s out alive, oder wenn, dann nur als Freak.

Shifting Baselines III: Die Macht der Gewohnheit und der schauspielerischer Leitfaden zur Verbesserung der Welt
Anke hält ein Plädoyer für kleine Schritte. Denn man habe ja früher einmal Grundsatzentscheidungen über Konsumverhalten getroffen. Der nächste Schritt sei, ins Nachdenken zu kommen, eine neue Entscheidung zu treffen, sich dann dran zu gewöhnen und dann nicht mehr drüber nachzudenken. So würde es Gewohnheit und man käme nicht mehr raus. Klassische Umerziehung eben.

Philipp spricht unter Rekurs auf eine alte Schauspielschul-Theorie über denselben Vierschritt von der unbewussten Inkompetenz über die bewußte Inkompetenz zur bewußten Kompetenz und schließlich zur unbewußten Kompetenz, und nennt das den "Schauspielerischer Leitfaden zur Verbesserung der Welt".

Hermann weist auf Herbert Gruhl und dessen Buch  "Ein Planetwird geplündert" hin, das von manchem Grünen als GRünbdungsdokument seiner Partei begriffen wurde.  

Jan bittet um die letzte Runde und beschließt das Ewigkeitsbüro mit der Bemerkung, er würde jetzt zu McDonalds gehen.

 

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